nairobi schrieb:Ich habe das Gefühl, dass es immer weniger Leute sind, die nicht mal arbeiten wollen und das oft schon junge Leute.
Und selbst Arbeitskräfte aus dem Ausland sind immer schwerer zu finden, ob Erntehelfer oder Pflegekräfte oder sonstwas.
Das ist zunehmend ein Problem.
Meinst du weniger oder mehr?
Wenn es weniger Leute wären, die nicht arbeiten wollen, wäre das doch gut?
Die Polinnen, die früher nach Deutschland arbeiten kamen, bleiben jetzt zu Hause, weil sie dort annähernd dasselbe verdienen wie in der Pflege in Deutschland. Warum sollen sie also für sechs Wochen nach Deutschland fahren und ihre Familie verlassen, wenn sie nicht besser verdienen?
Das ist auch der Grund, warum man immer weniger Arbeitskräfte findet: arbeiten lohnt sich nicht. Wenn man Vollzeit arbeitet und trotzdem jeden Cent zweimal umdrehen muss, dann kann ich gut verstehen, dass man irgendwann so frustriert ist, dass man darauf pfeift.
Die Lösung kann nicht sein, die Menschen in eine Notlage zu bringen, indem man die zum Arbeiten zwingt. Das ist keine langfristige Lösung, denn wenn jemand seine Arbeit nicht mag, wird man schnell wieder kündigen.
Da muss schon weiter als bis zur Nasenspitze gedacht werden und sowohl das Entgelt als auch die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Menschen sind immer unglücklich, wenn sie denken, dass ihre Arbeit nicht sinnstiftend ist und es ohnehin unnötig ist, was sie tun, weil es keinen interessiert. Bei manchen Jobs hat man das Gefühl, dass es sie nur gibt, damit man Menschen damit beschäftigen kann, aber nicht deshalb, weil diese Tätigkeit tatsächlich benötigt wird.
Die jungen Leute lassen sich nicht mehr so erpressen und sie können sich das leisten, weil es einen Arbeitskräftemangel gibt. Entweder, sie bekommen, was sie fordern oder sie nehmen den Job halt nicht an. Das ist eine ungewohnte Situation für Arbeitgeber, denn bisher haben sie die Bedingungen diktiert und kamen damit durch, weil die Arbeitslosigkeit höher war. Jetzt dreht sich das um und die Arbeitnehmer:innen können Forderungen stellen.
Die Arbeitgeber (bewusst nicht gegendert, weil die Macht meistens in Männerhänden ist, egal ob Aufsichtsrat oder Geschäftsleitung) müssen da jetzt eben umdenken und Goodies anbieten, damit die Menschen bei ihnen arbeiten wollen. Das geht nicht nur über hohe Gehälter, sondern über Wertschätzung. Jahreskarte für die Öffis oder Firmenwagen, Essenszuschuss, Gutscheine, Weihnachtsgeschenke, betriebliche Fitness- und Gesundheitsprogramme, Betriebskindergarten, Karrierechancen, Mentoring, Sabbatical, betriebliche Altersvorsorge... solche Dinge gehören auch ins Angebot und wer nichts bietet, bekommt auch schwer Arbeitskräfte.
Ein Lob oder ein schlichtes Dankeschön hin und wieder helfen übrigens auch ungemein.
Ich finde die Situation am Arbeitsmarkt nicht erschreckend, sondern sehe die Vorteile für mich ganz persönlich. Ich bin nämlich in einer viel besseren Verhandlungsposition als noch vor zehn Jahren.